An dieser Stelle möchten wir die Rede veröffentlichen, die 2 Vertreter_Innen des JWP-MittenDrins anlässlich der Preisverleihung des Julius-Rumpf-Preises 2012 am 09.06.2012 im Tempelgarten hielten. Aktuell arbeiten wir an einer Kurzdokumentation über den Tag der Preisverleihung – es wird aber noch ein wenig dauern, bis die fertig ist. Habt also etwas Geduld. Und nun: Viel Spass!
Die Rede als PDF gibt es hier.
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Wir freuen uns sehr, euch hier heute alle begrüßen zu können. Es tut gut, auch mal den Alltag hinter sich zu lassen und auf das Erreichte zurückzuschauen. Einen Tag zu nutzen, um sich selbst zu beglückwünschen für die Arbeit, die wir gemeinsam geleistet haben. Dabei kann das MittenDrin auf eine lange und bewegte Geschichte zurückblicken. In all den Jahren war es nie still um unser Haus. Ob im Guten oder im Schlechten, es gab immer etwas zu uns oder über uns zu sagen.
Dabei haben wir viele Freundinnen und Freunde gefunden, Unterstützung und Solidarität erfahren, haben Sperrmüll erbeutet, wo es nur ging und massenhaft Sofas verschlissen. Das MittenDrin hat unzählige Biographien versaut und geprägt, Brauereien litten unter dem Durst unser Besucher und Besucherinnen. Menschen haben sich durch das Projekt kennengelernt und verliebt, sind ein Stück zusammen gegangen und haben sich irgendwann vielleicht wieder getrennt oder auch nicht. Menschen, die aus Neuruppin wegzogen, blieben dem Projekt verbunden, engagierten sich in anderen Hausprojekten und wurden älter und Eltern. Die erste Nachwuchsgeneration der ehemaligen Besetzer_Innen steht in den Startlöchern. Wir haben getanzt, geweint und gelacht, gestritten und diskutiert, in die Feuertonne gestarrt und philosophiert, dann wieder gefeiert und geputzt. Wir haben gekämpft. Zusammen und lautstark. Wir haben das benannt, was uns störte und vom schönen Leben trennt. Wir haben uns gegenseitig die Haare zurückgehalten, wenn der Inhalt des Glases nicht mehr im Körper bleiben wollte, haben Transpis gemalt und musiziert, uns die Haare geschnitten und gefärbt, uns gegenseitig tätowiert, wir haben gekocht und gebaut, geplant und renoviert. Wir können stundenlang Geschichten erzählen und noch in Jahren darüber lachen – Vor allem Lachen! Was haben wir gelacht!?!
Aber wir haben es uns auch mit Nachbarn und Nachbarinnen verscherzt, waren abends zu lange wach und morgens auf der Arbeit zu verpeilt, um irgendetwas gebacken zu kriegen. Wir haben Anzeigen kassiert für die verrücktesten Dinge. Bösartige Gerüchte über uns machten die Runde. Wir wurden von Nazis angegriffen und bedroht. Unsere Gutmütigkeit wurde ausgenutzt – hunderte Male und wir haben immer noch eine weitere letzte Chance gegeben und sind dann doch wieder auf die Fresse geflogen. Wir wurden beklaut und das Inventar wurde zerschlagen. Wir mussten Hausverbote aussprechen und waren so oft an dem Punkt, alles hinzuschmeißen. So oft haben wir uns gesagt: „So eine Scheiße, für wen machen wir das hier eigentlich?“ Aber wir sind immer noch da – wir haben uns jedes Mal wieder aufgerafft und weitergemacht! Denn egal was kam, wir haben es zusammen gemacht. Als Haus, als Gemeinschaft, als Freundinnen und Freunde, als Genossinnen und Partner oder auch nur als junge Leute, die mit dem Bestehenden nicht zufrieden sind.
Es ist nicht immer leicht, ein solches Projekt zu organisieren, auch, weil uns nicht immer alle wohlgesonnen sind. Wir sind aber stolz darauf, allen Ärger mit Polizei, Ordnungsamt und Verfassungsschutz überstanden zu haben und trotzig hier zu stehen und sagen zu können: Wir sind noch da! Ihr habt uns nicht klein gekriegt und wir kämpfen weiterhin für das, woran wir glauben.
Der Julius-Rumpf-Preis honoriert auch Gewaltlosigkeit. Und auch wenn oft anderes über uns gesagt wird: Genau das ist unser Ziel: Eine friedliche, gewaltfreie Welt. Aber wir wollen nicht vergessen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die durch und durch gewalttätig ist – jeden Tag und jede Minute. Die uns in Kategorien wie Mann und Frau presst, uns in der Schule zu Gehorsam, Leistung und Disziplin zwingt, die uns ausgrenzt durch Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und andere menschenfeindliche Einstellungen. Eine Gesellschaft die Kreide frisst und Waffen in Kriegsgebiete exportiert, die Tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen lässt, die uns auspresst, entmündigt und mit Hartz IV demütigt, die nur auf Konkurrenz und Leistungsdruck basiert. Mit einer Polizei, die Antifaschistinnen und Antifaschisten mit Wasserwerfern, Knüppeln und Pfefferspray drangsaliert, obwohl sich diese legitim gegen Faschistinnen und Faschisten stellen. Eine Gesellschaft, die im Überfluss und Konsumrausch lebt, ohne zu fragen, auf wessen Kosten. Die Milliarden Tiere hinschlachtet für den Genuss. In einer solchen Gesellschaft leben wir und wir sind ein Teil von ihr. Die Gewalt umgibt uns. Aus diesem Grund können wir nicht davon sprechen, dass wir in einer gewaltfreien Gesellschaft leben, sondern vielmehr, dass diese Gesellschaft etwas ist, das wir uns gemeinsam erkämpfen wollen!
Für die Zukunft wünschen wir natürlich die vollständige organisatorische und personelle Implosion der lokalen Nazistrukturen, sowie kämpferische soziale Bewegungen, die sich nicht mit ein paar Krümeln oder Kuchenstückchen zufrieden geben, sondern die weiterhin darauf beharren, die ganze, verdammte Bäckerei haben zu wollen.
Aber natürlich haben wir nicht nur revolutionäre Träume. Ganz konkret wollen wir eine Perspektive für das MittenDrin auch über den laufenden Mietvertrag hinaus. Wir wollen entweder in dem Gebäude bleiben, in dem wir aktuell gemeinsam leben und arbeiten, oder aber ein neues Gebäude, das mindestens genauso groß ist wie das bestehende und eine ähnlich gute Lage besitzt. Ein solches Haus gibt es, aber für die Umsetzung fehlt uns noch eine Kleinigkeit. Oder anders gesagt: Wir müssten diesen Preis auch in den kommenden 30 Jahren gewinnen, um uns dieses Haus leisten zu können. Das ist, milde gesagt, sehr unwahrscheinlich und wir hoffen, dass die Stadt mehr als bisher erkennen lässt, dass es eine Zukunftsperspektive für das MittenDrin auch über das Ende des aktuellen Mietvertrages 2015 hinaus geben muss und dass so ein Vorhaben auch nicht für umsonst zu bekommen ist.
Ein letzter Gruß gilt auch dem Verfassungsschutz, der mit seinen verbohrten Kriminalisierungsversuchen gegen uns letztlich nur das Gegenteil erreicht hat. Und obwohl wir öffentlich diesen Versuchen widerstehen konnten, wurde versucht, einen Besucher aus unserem Umfeld als Spitzel zu werben. Diesen Schlapphüten bleibt nur zu sagen: Wir werden niemals Freunde! Ihr seid die Verwalter von Misstrauen und Angst. Ihr werdet zwar weiterhin an den Beinen unseres Stuhls sägen, aber eure Beine sind morsch. Wir werden euch überleben, denn Geheimdienste haben in einer Demokratie nichts zu suchen, besonders wenn sie so aktiv mit Nazimördern zusammenarbeiten wie der VS mit dem NSU.
Ihr merkt, wir beackern viele Themen und wir haben zu vielen Dingen unseren Senf abzugeben. Aber genau das ist unser Ding! Sich nicht über die Schweinereien in dieser Welt zu empören, hieße sie hinzunehmen. Wenn wir das alles nicht ansprechen würden, könnten wir diesem Preis nicht gerecht werden. Denn mit dem „Sich-Einmischen“ fängt Demokratie an. Und genau das werden wir auch weiterhin tun.
Wir danken euch allen dafür, dass ihr hier seid und ganz besonders der Martin-Niemöller-Stiftung, der Familie Rumpf und der Laudatorin.