Vor 20 Jahren haben Neonazis in Neuruppin einen Obdachlosen erstochen / „Mittendrin“ will erinnern
NEURUPPIN – Die Erinnerungen sind vage, wenn es überhaupt noch welche gibt. Der Mordfall an einem Obdachlosen in Neuruppin ist zu lange her. Noch dazu fand er in einer Zeit statt, in der es viele ähnliche Überfälle von Neonazis gab. Selbst die Medien haben damals wenig darüber berichtet. Das macht es für die Jugendlichen aus dem Neuruppiner Verein „Mittendrin“ nicht gerade einfach, den rechtsradikalen Mordfall nachzuvollziehen. Zwanzig Jahre nach dem Überfall von jungen Neonazis auf Emil Wendland (50) im Neuruppiner Rosengarten will das Mittendrin an die brutale Tat erinnern.
Geschehen ist es am 1. Juli 1992. Eine Gruppe von rechtsextremen Skinheads hat sich zum „Pennerklatschen“ verabredet, wie es Monate später vor dem Landgericht in Potsdam heißt. Wie viele es waren, lässt sich kaum nachvollziehen. „Vielleicht sieben oder acht“, sagt Oliver Leonhardt vom „Mittendrin“, der sich seit Monaten mit dem Fall befasst. Fest steht: Die Skinheads lassen sich mit Alkohol volllaufen. So sehr, dass sich angeblich später keiner mehr entsinnen kann, was danach geschah. Nach den Ermittlungen der Polizei haben die Neonazis im Neuruppiner Rosengarten einen Obdachlosen getroffen. Aus ihrer Sicht einen „Menschen zweiter Klasse“, wie es in der Gerichtsverhandlung später heißt. Einen, den sie für nicht lebenswert hielten: Emil Wendland, der einst Lehrer war, bevor er auf der sozialen Leiter abstürzte. An ihm haben die Neonazis sich ausgetobt. Eine Bierflasche sollen sie ihrem hilflosen Opfer über den Kopf geschlagen haben, den Mann anschließend verprügelt und schließlich mit mehreren Stichen ermordet haben.
Drei junge Rechte wurden dafür verurteilt. Der mutmaßliche Haupttäter, ein 20 Jahre alter Mann aus Neuruppin, wurde zu sieben Jahren in Jugendhaft verurteilt.
Zwei Jahrzehnte ist der Fall jetzt her. Für das Mittendrin ein Grund, daran zu erinnern. „Wir finden, dass der Mord in Neuruppin nie aufgearbeitet wurde“, sagt Oliver Leonhardt vom Jugendwohnprojekt. In der Stadtverordnetenversammlung haben viele Lokalpolitiker wohl zum ersten Mal davon gehört.
Jugendliche vom „Mittendrin“ wollen jetzt erreichen, dass Neuruppin dauerhaft an diesen Mordfall erinnert. „Wir sind gerade dabei, den Fall zu recherchieren“, sagt Leonhardt. Der Verein sammelt die wenigen Zeitungsartikel, die vor 20 Jahren erschienen. Die Vereinsmitglieder versuchen, Zeitzeugen ausfindig zu machen, und bereiten Interviews vor. Für den 1. Juli 2012 planen sie eine Gedenkveranstaltung für Emil Wendland am Denkmal für die Opfer des Faschismus im Rosengarten. Eine Woche später, am 7. Juli, soll es außerdem eine Demonstration geben.
In der Stadtverordnetenversammlung am Montag schlugen die Jugendlichen außerdem vor, eine Straße in Neuruppin nach dem Opfer des rechten Mordes zu benennen. Infrage kämen aus Sicht des „Mittendrin“ zum Beispiel die Präsidentenstraße, die Poststraße oder die Straße Am Alten Gymnasium.
Eine Entscheidung haben die Stadtverordneten noch nicht getroffen. „Aber das haben wir auch nicht erwartet“, räumt Leonhardt ein. Die Idee müsse erst einmal diskutiert werden. Die Fraktionen wollen das in den nächsten Wochen tun. Vor allem wollen sie sich informieren, wer Emil Wendland eigentlich war. Vielen Abgeordneten sagte der Fall nichts.
Ronny Kretschmar, der Vorsitzende der Linken in Neuruppin, kann sich an den Mord vor 20 Jahren dagegen noch erinnern. Ob Neuruppin eine Emil-Wendland-Straße bekommen soll, hat aber auch die Linke für sich noch nicht entschieden. „Es ist ein überlegenswerter Vorschlag“, sagt Kretschmar. (Von Reyk Grunow)
Bis zu 182 Todesopfer seit 1992
Wie viele Menschen seit 1990 in Deutschland durch rechte Gewalt ums Leben kamen, ist sehr umstritten.
Das Bundesinnenministerium nennt in seiner neuesten Statistik offiziell 58 Todesopfer. Opferverbände und Medien gehen von bis zu 182 Todesopfern in den vergangenen zwölf Jahren aus.
Der Name Emil Wendland aus Neuruppin tauchte noch Mitte der 90er Jahre in einer Antwort des Bundesregierung als Opfer rechtsextremer Gewalt auf. In späteren Aufzählungen der Bundesregierung wurde er nicht mehr genannt.
Die Internetseite „Mut gegen rechte Gewalt“ zählt den Mord an Emil Wendland klar als Fall rechter Gewalt auf. Die Seite ist eine Initiative des Magazins „Stern“ und der Amadeu-Antonio-Stiftung. gru
Quelle: Märkische Allgemeine – Internetausgabe